V2X-Anwendungen (Vehicle-to-everything) als Prototypen

HMI und Konnektiviät

14.5.2025

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Porsche Engineering hat in den vergangenen zwölf Monaten drei prototypische V2X-Anwendungen entwickelt. Eine Schlüsselrolle spielen dabei das Software-Team in Lecce und das Nardò Technical Center. Dort steht eine drahtlose Infrastruktur auf dem neuesten Stand der Technik zur Verfügung.

Die V2X-Technologie (Vehicle to Everything) ermöglicht es Fahrzeugen, direkt mit ihrer Umgebung zu kommunizieren – auch ohne aktive Internetverbindung. So können sie Informationen mit anderen Fahrzeugen, Fußgängern, Fahrrädern oder der Straßeninfrastruktur austauschen. „Diese direkte Kommunikation bietet eine Funkreichweite von bis zu 1.000 Metern sowie End-to-End-Latenzzeiten im Millisekunden-Bereich, was besonders für sicherheitskritische Anwendungen wichtig ist“, erklärt Sai Praneeth Reddy Animireddy, Function Owner V2X Development bei Porsche Engineering. „Durch den Einsatz standardisierter Nachrichten können Informationen zwischen den Fahrzeugen verschiedener Hersteller ausgetauscht werden. Das macht die V2X-Technologie zu einer wichtigen Komponente für aktuelle Fahrerassistenzsysteme und künftige autonome Fahrzeuge.“

Im Rahmen verschiedener Machbarkeitsstudien hat Porsche Engineering in den vergangenen zwölf Monaten gemeinsam mit der Porsche AG vielversprechende V2X-Anwendungen identifiziert, die derzeit als Prototypen umgesetzt werden. Eine davon hat das Ziel, den Fußgängerschutz weiter zu verbessern: Biegt ein Fahrzeug in der Stadt ab, kann die Fahrerin oder der Fahrer wegen eingeschränkter Sicht oft nicht erkennen, ob direkt hinter der Abzweigung gerade eine Fußgängerin oder ein Fußgänger die Straße überquert. Ein anderes Fahrzeug könnte hier eventuell wichtige Informationen beisteuern: Falls es über eine seiner Kameras eine bessere Sicht auf die Fußgängerin oder den Fußgänger hat, kann es dem abbiegenden Fahrer über V2X einen Hinweis schicken. Denkbar wäre auch, im Notfall das abbiegende Fahrzeug automatisch abzubremsen.

Fahrzeuge im Gespräch: Mehr Verkehrssicherheit durch V2X

Szenario 1: Fußgängerschutz

Im ersten Szenario biegt ein Fahrzeug rechts ab, gleichzeitig überquert eine Fußgängerin oder ein Fußgänger die Straße – die oder den die Fahrerin oder der Fahrer aber nicht sehen kann. Das andere Fahrzeug ist auf einer besseren Position und kann die Fußgängerin oder den Fußgänger mit seiner Kamera erkennen. Es schickt eine Warnung an das erste Fahrzeug, damit es nicht zu einem Unfall kommt.

Szenario 2: Auffahrunfälle verhindern

Im zweiten Szenario fahren zwei Pkw und ein Lkw direkt hintereinander. Der vordere Pkw bremst, was die Fahrerin oder der Fahrer ganz hinten aber nicht sehen kann. Der vordere Pkw schickt eine Nachricht an alle Fahrzeuge hinter sich und informiert sie über die Bremsung. So kann die Fahrerin oder der Fahrer ganz hinten trotz schlechter Sicht auch rechtzeitig bremsen.

Eine weitere V2X-Anwendung könnte in Zukunft Auffahrunfälle verhindern: „Stellen wir uns beispielsweise drei Autos vor, die direkt hintereinanderfahren. Die Fahrerin oder der Fahrer des ersten Fahrzeugs tritt plötzlich das Bremspedal durch, weil ein Kind auf die Fahrbahn läuft“, sagt Animireddy. „Dann kann das Fahrzeug über V2X eine Nachricht an die beiden anderen Autos hinter sich senden, um sie zu warnen.“ Selbst wenn das vordere Fahrzeug nicht über V2X verfügen sollte, wäre eine Warnung an das letzte Fahrzeug noch möglich – wenn das mittlere Fahrzeug mit V2X ausgestattet ist: Es könnte das Aufleuchten der Bremslichter registrieren und daraufhin eine Warnung an die Fahrerin oder den Fahrer hinter sich senden.

Game-Changer für den Verkehr

Die Kommunikation von Fahrzeugen untereinander sowie mit der Infrastruktur könnte zum Game-Changer für den Verkehr werden – auch um autonome Fahrzeuge auf die Straßen zu bringen. „V2X-Kommunikation ist eine wichtige Ergänzung zur On-Board-Sensorik“, erklärt Florian Zeiner, Product Owner für V2X bei Porsche. Die größten Herausforderungen seien dabei die Marktdurchdringung und die in Europa vorherrschende Uneinigkeit hinsichtlich der Technologie. Die prototypischen V2X-Anwendungen wurden im süditalienischen Lecce entwickelt, wo das Nardò Technical Center (NTC) seit Anfang 2023 ein Team von Software-Ingenieurinnen und -Ingenieuren beschäftigt. Sie fokussieren sich auf fünf Schwerpunkte: Energie (vor allem Batteriemanagementsysteme), ADAS-Funktionen (Advanced Driver Assistance System) und autonomes Fahren, Big-Data-Analysen und Cloud-Infrastruktur, Softwarequalität und -validierung sowie Connectivity, wozu unter anderem die neuen V2X-Anwendungen gehören. „Durch die enge Zusammenarbeit mit den Universitäten in Lecce, Pavia und Turin haben wir Zugriff auf die neuesten technischen Entwicklungen und können viele Nachwuchstalente über Masterund Doktorarbeiten in unsere Projekte mit einbinden“, berichtet Matteo Longo, der das Team in Lecce leitet. „Ein weiterer großer Vorteil für die Entwicklung von V2X-Funktionen ist die Nähe zum NTC von Porsche Engineering. Dort können wir neue Anwendungen unter optimalen Bedingungen testen.“

Das zeigte sich besonders deutlich bei einem weiteren V2X-Projekt von Porsche Engineering, der „Follow- Me“-App. Die Idee dahinter: Mehrere Porsche-Fahrzeuge fahren in einer Kolonne, zum Beispiel im Rahmen eines gemeinsamen Ausflugs oder auf dem Weg zu einer Veranstaltung. Oder eine Gruppe von Entwicklerinnen und Entwicklern ist mit Versuchsfahrzeugen unterwegs. Über den V2X-Datenaustausch sehen alle Beteiligten auf ihren Displays die Position der anderen Fahrzeuge sowie weitere Informationen wie den gegenseitigen Abstand oder die beste Geschwindigkeit, um als Gruppe zusammenbleiben zu können. „Jede Person kann auch Nachrichten in die Gruppe senden, zum Beispiel um eine Kaffeepause oder einen Stopp für das Nachladen der Batterie vorzuschlagen“, so Animireddy.

Mehrere Kommunikationskanäle

Technische Grundlage dafür ist die sogenannte „Sidelink- Kommunikation“, die die Fahrzeuge drahtlos auf einer Frequenz von 5,9 Gigahertz direkt miteinander verbindet. Sie vermeidet grundsätzlich den Umweg über das Mobilfunknetz, wo Kosten anfallen würden und in dem die Datenpakete deutlich länger unterwegs wären. Die zugrunde liegenden Standards sind ETSI Sidelink Messages (Europa), CN-SAE (China) beziehungsweise SAE (USA). In manchen Fällen ist der direkte Datenaustausch zwischen den Fahrzeugen aber nicht möglich – etwa weil die maximale Reichweite von rund 1.000 Metern überschritten ist oder ein Hindernis die Funkverbindung unterbricht. In diesem Fall schaltet die App automatisch um und greift auf das Mobilfunknetz zurück, um Nachrichten zu senden und zu empfangen. Dann beruht der Datenaustausch auf dem Standard Cellular-V2X.

„Das automatische Umschalten zwischen der Sidelink- Kommunikation und dem Datenaustausch über das Mobilfunknetz war eine der Herausforderungen bei diesem Projekt“, berichtet Longo. „In Smart Cities können die Fahrzeuge außerdem noch mit der intelligenten Infrastruktur kommunizieren, beispielsweise für die Parkplatzsuche. Dort müssen die V2X-Applikationen bis zu drei unterschiedliche Datenverbindungen beherrschen: den Sidelink mit anderen Fahrzeugen, V2X über Mobilfunk und die Kommunikation mit der Smart City.“ Insbesondere beim Testen des automatischen Umschaltens zwischen den unterschiedlichen Kommunikationskanälen hat das Team von der Nähe zum Nardò Technical Center profitiert. Dort stehen den Entwicklerinnen und Entwicklern neben einem privaten 5G-Netz auch Roadside-Units zur Verfügung, die die Infrastruktur einer Smart City nachbilden. „Auf den NTC-Teststrecken haben wir die Follow-Me-App ausgiebig getestet, hinzu kamen später Versuchsfahrten auf öffentlichen Straßen in Deutschland und Italien“, sagt Longo.

1,000

Bis zu 1.000 Meter lassen sich via Sidelink zwischen zwei Fahrzeugen für den Nachrichtenaustausch überbrücken.

Auch bei den Entwicklungsmethoden setzten die Ingenieurinnen und Ingenieure auf Vielfalt. „Wir haben eine Mischung aus Simulationen und Prototypentwicklung genutzt, um die Follow-Me-App zu realisieren und gleichzeitig die V2X-Nachrichtenstandards einzuhalten“, sagt Animireddy. „Außerdem war uns wichtig, dass die App so wenig wie möglich auf ein Backend zugreift. Denn nur dann ist ihre Funktionalität auch bei einer fehlenden Verbindung ins Internet gewährleistet.“ Unbefugten Zugriff auf die Daten verhindern eine Public Key Infrastructure (PKI) und die ETSI-ITS- Sicherheitsarchitektur. „Den Datenschutz stellen wir durch Anonymisierungs- und Pseudonymisierungstechniken sicher. Dadurch können personenbezogene Daten nicht direkt mit Einzelpersonen in Verbindung gebracht werden“, so Animireddy.

Porsche-Experte Zeiner ist mit dem Ergebnis zufrieden: „Die Follow-Me-App passt sehr gut zur Porsche-Community. Außerdem zeigt sie, welche Möglichkeiten V2X in Zukunft bieten wird. Das Software-Team in Lecce hat die Prototypen in kurzer Zeit umgesetzt – von der Entwicklung bis zum Test der neuen Funktionen.“ Grundlage für den Erfolg war die internationale Zusammenarbeit mehrerer Standorte über Landesgrenzen hinweg. „V2X ist die Basis für viele künftige Applikationen, weshalb fast alle OEMs in das Thema investieren“, fasst Longo zusammen. „Unsere Entwicklerinnen und Entwickler aus dem Bereich Connectivity in Lecce haben ihr Fachwissen zum Thema V2X stark erweitert, und unsere guten Ergebnisse sind hauptsächlich ihnen zu verdanken. Die Machbarkeitsstudien belegen, dass wir das dafür nötige Know-how und alle erforderlichen Tools besitzen. Kurz gesagt: Wir sind bereit für V2X.“

Info

Text erstmals erschienen im Porsche Engineering Magazin, Ausgabe 2/2024.

Text: Christian Buck

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